Haywire

Mallory Kane (Gina Carano) arbeitet für ein privates Unternehmen, das wiederum von der US-Regierung in Auftrag gegebene Jobs ausführt. In Barcelona erledigt sie routinemäßig einen Auftrag mit Bravour. Als sie zurückkehrt steht schon die nächste „Geschäftsreise“ an. Doch dieses mal läuft nicht alles so reibungslos ab wie es geplant war. Sie wird hintergangen und befindet sich plötzlich auf der Flucht.

Steven Soderbergh ist wieder zurück! Seit seinem Comeback mit „Contagion“ spielt er wieder ganz oben in der Liga der großen und erfolgreichen Regisseure unserer Zeit. Doch ob er nun mit dem Filmemachen weiter macht ist strittig. Zuerst gab der Regisseur im letzten Jahr bekannt, dass er aufhören wolle Filme zu machen. Wir berichteten im April darüber! Dann dementierte er in einem Interview gegenüber CINEMA Anfang des Jahres den angeblichen Rücktritt wieder: „Als ich das sagte war ich etwas betrunken“. In einem neuen Interview mit der B.Z. heißt es nun wiederum: „Nun, in diesem Jahr drehe ich noch zwei weitere Filme, und dann habe ich erst mal nichts mehr. Was nicht heißt, dass ich mich auf die faule Haut legen werde, aber Filme drehe ich für eine Weile nicht mehr.“ Wie dem auch sei, ob PR-Gag oder nicht; wir hoffen auf weitere tolle Filme von ihm und es sind auch noch mindestens 3 in Planung: „Magic Mike“ eine Männer-Strip-Komödie, „Behind the Candelabra“ mit Matt Damon und Michael Douglas und „The Bitter Pill“ mit dem neuen Star aus der amerikanischen Verfilmung „Verblendung“ Rooney Mara sowie Catherine Zeta-Jones und Jude Law. Also bleibt abzuwarten ob er seine wiederholten „Drohungen“ dem Filmbusiness den Rücken zu kehren wahr machen wird.

Soderbergh besetzt für seinen neuen Action-Film die unbekannte Gina Carano, die früher Mixed-Martial-Arts-Kämpferin in TV-Shows war. Schauspielerfahrung hat sie nur wenig und doch zeigt sich die Entscheidung Soderberghs als Genie-Streich. Das neue Gesicht verleiht den Film eine Frische und willkommene Abwechslung für die große Kinoleinwand. In „Haywire“ übt sie alle Stunts selbst aus und die Kampfszenen sind sehr beeindruckend und von tollem Realismus geprägt. Darin liegt auch die Stärke des Films. Soderbergh verzichtet gänzlich auf übertriebene Baller-Szenen, sondern setzt auf klassische Eins-zu-Eins-Kämpfe, die noch mit Fäusten und Tritten geführt werden. Neben der tollen Hauptdarstellerin glänzen ein ganzes Ensemble von großartigen Darstellern: Michael Fassbender, Ewan McGregor, Michael Douglas, Antonio Banderas und Bill Paxton! Alle sind jedoch nur in Nebenrollen besetzt, machen ihren Job aber ganz hervorragend.

Hervorzuheben ist, dass Soderbergh sich redlich Mühe gegeben hat mal wieder etwa neues zu schaffen, ja er hat quasi das Genre des Action-Film neu erfunden. Denn die scheinbar banale Story ist komplex aufgelöst und nicht gleich gänzlich zu verstehen. Es ist ein Film, der zwar viele Action-Szenen bietet, aber eigentlich eher ruhig und harmonisch in Erinnerung bleibt. Die cool-jazzige Musik von David Holmes assoziiert alte Kriminalfilme aus den Siebzigern und verleiht dem Film ein ganz gewisses, wohliges Flair. Auch die körnige Bildgestaltung, die teilweise schon ein Markenzeichen der Filme von Soderbergh ist, trägt zu dieser speziellen Grundstimmung bei. Dies ist jedoch eines der wenigen Kritikpunkte, die im Gesamtkonzept des Films stören. Die manchmal leichten Unschärfen und die sehr grobkörnigen Bilder und die leichten Überbelichtungen sind zwar gewollt, doch manchmal wäre dort weniger mehr gewesen. Sprich etwas klarere und schärfere Bilder hätten der ganzen Bildästhetik gut getan. Die Kameraeinstellungen und Fahrten sind hingegen wohl durchdacht und sehr schön inszeniert.

Insgesamt bietet „Haywire“ jedoch nicht nur eine äußerst kurzweilige Unterhaltung, sondern lässt einen auch richtig hinein versinken in die Geschichte und deren Bilder. Neben der Regie führte Soderbergh auch selbst die Kamera (unter dem Pseudonym Peter Andrews, das er immer wieder verwendet) und auch der Schnitt stammt aus seiner Feder (hier ist es Mary Ann Bernard hinter der er sich versteckt). Gedreht wurde das ganze wieder auf der digitalen Filmkamera RED, die auch schon seit einiger Zeit zu seinem Stamm-Equipment gehört.

Tolle Schauspieler, unterhaltsame Action-Szenen und ein wundervoll gestaltetes Bild- und Tonkonzept machen „Haywire“ zu einem tollem Kinovergnügen für Jung und Alt.

 

„Haywire“; USA (2011); 93 Min.; D: Steven Soderbergh; C: Gina Carano, Michael Fassbender, Ewan McGregor, Michael Douglas, Antonio Banderas, Bill Paxton M: David Holmes

 

6 von 7 Sternen

Alexander George

Death Proof

Stuntmen Mike (Kurt Russell) ist Besitzer eines furchterregenden Autos. Als er in einer Bar auf ein Frauen-Trio trifft wird den Mädchen schnell klar mit was für einem verrückten Typen sie es zu tun haben.

Quentin Tarantino´s „Death Proof“ ist eine Hommage an das B-Movie- und Exploitationfilm-Genre der 60er und 70er Jahre. Exploitationfilm bedeutet laut Marcus Stiglegger „eine kategorisierende Bezeichnung für Filme, die reißerische Grundsituationen ausnutzen, um mittels der exploitativen Darstellung vornehmlich von Sex und Gewalt über die damit erreichten Schauwerte affektiv auf den Zuschauer zu wirken.“ Zusammen mit seinem Regie-Freund Robert Rodriguez brachte er den Film als ein Teil des Double Features „Grindhouse“ ins Kino. Rodriguez produzierte zeitgleich den Film „Planet Terror“.

Tarantino baute auch bei „Death Proof“ auf seine bewährte Rezeptur, die aus Film-Hommagen, alt-bekannten Darstellern und längst vergessenen One-Hit-Musiken besteht. Klar besitzen seine Filme einen starken Wiedererkennungswert und er konnte so schon des öfteren einen alten Hype wieder aufleben lassen. Doch diesmal geht seine Rechnung überhaupt nicht auf. Allein der Beginn des Films, der aus den typischen langen Dialogen besteht, ist schlichtweg langweilig. Diese Langeweile wiederholt sich mehrmals während des gesamten Films. Die Idee den Look der 1970er Jahre zu imitieren, also das gealterte Aussehen des Films künstlich mit Kratzern und Streifen sowie Schnittsprüngen zu versehen, mag zwar ein guter Einfall sein wirkt letztendlich aber nur aufgesetzt. Das Product-Placement ist ebenfalls ein Dorn im Auge. Hier hat man die Produkte offensichtlich als Eye-Catcher platziert, ohne an eine geeignete Einarbeitung in die Geschichte zu denken. Quasi mit der „Hau-Drauf-Methode“. Eine spezielle und spektakuläre Stunt-Szene mit einer Auto-Verfolgungsjagd in dem eine Frau auf den Vorderkühler sitzt ist zwar technisch brillant inszeniert worden aber inhaltlich völlig überflüssig und unlogisch. Die einfachste Lösung wäre gewesen: der Wagen hätte locker anhalten können. Trotz allem sorgt der Film für einige lustige Überraschungen, diese sollen jedoch nicht vorweggenommen werden. Im Gesamtbild bleibt es leider einer der schwächsten Filme von Tarantino. „Death Proof“ ist nicht unterhaltsam und wirkt (auch wenn das Absicht ist) einfach zu unglaubwürdig. Da kann noch nicht einmal die schauspielerische Leistung von Kurt Russell darüber hinwegtrösten: Schade!

 

„Death Proof – Todsicher“ („Grindhouse: Death Proof“); USA (2007); 109 min; D: Quentin Tarantino; C: Kurt Russell, Rosario Dawson, Vanessa Ferlito, Jordan Ladd, Sydney Tamiia Poitier, Quentin Tarantino, Rose McGowan, Tracie Thoms, Mary Elizabeth Winstead, Zoë Bell; M: diverse

 

1 von 7 Sternen

Alexander George

Drive

Der Fahrer (Ryan Gosling) lebt quasi nur für Autos. Tagsüber ist er Stuntfahrer für Filme und KFZ-Mechaniker in einer Werkstatt, nachts fährt er als Fluchtwagenfahrer bei Überfällen. Dabei kümmert sich sein Manager Shannon (Bryan Cranston) um die Aufträge. Als er seine Nachbarin Irene (Carey Mulligan) kennenlernt gibt es eine Kehrtwende in seinem Leben.

Nicolas Winding Refn der die Regie für „Drive“ übernahm, ist dänischer Herkunft und bisher noch ein recht unbekannter Regisseur. Er erhielt 2011 in Cannes für diesen Film die Goldene Palme für seine Regiearbeit. Refns Film ist (um es gleich zu sagen) hervorragend inszeniert. Der Vorspann des Filmes mit der Musiknummer „Nightcall“ von Kavinsky & Lovefoxxx ist genial. Der exzellente Soundtrack durchzieht den ganzen Film. Vor allem die atmosphärische Musik die Cliff Martinez komponierte passt perfekt zu den warm-fotografierten Bildern. Martinez ist unter anderem Hauskomponist von vielen Soderbergh Filmen wie „Traffic“, „Solaris“ und zuletzt “Contagion“.

Refn erzählt die Geschichte von „Drive“ mit aller Ruhe. Auch wenn die Brutalität sich im Verlaufe der Zeit steigert, behält der Film seine ruhige fast gelassene Erzählweise bis zum Schluss hin durch. Einzig und allein die Spannung nimmt stetig zu. Im übrigen ist es ganz richtig den Film erst ab 18 Jahren freizugeben, da er teilweise sehr brutale Stellen hat, die jedoch immer einen „Sinn“ für die Geschichte des Filmes ergeben.

Die spezielle düstere Bildästhetik, die sich auch an die 80er Jahre anlehnt und die durchdachten Einstellungen machen den Film zu einem großartigen Kinoerlebnis. Wie schon im Film „Driver“ aus dem Jahr 1978 ist auch in „Drive“ der Hauptdarsteller genauso wortkarg und die Ruhe in Person. Ryan Gosling spielt grandios überzeugend, der Film lebt von seiner ausdrucksstarken schauspielerischen Leistung. Bryan Cranston der seinen Manager Shannon spielt, ist vor allem bekannt durch die Serien „Malcom mittendrin“ und „Breaking Bad“. Er kann auch im Kino brillieren. Die Geschichte von „Drive“ ist untypischer als man es erst von der Synopse erwarten mag. Das macht ihn so überraschend. Ein Film der eigentlich auch ein schlechter B-Movie hätte sein können wird hier zu einem exzellenten Film im Neo-Noir-Stil. Wundervolles Independent-Kino. Hut ab!

 

„Drive“; USA (2011); 100 min; D: Nicolas Winding Refn; C: Ryan Gosling, Carey Mulligan, Bryan Cranston, Albert Brooks, Ron Perlman; M: Cliff Martinez

 

 

6 von 7 Sternen

Alexander George

Gattaca

In naher Zukunft werden fast alle Kinder nach Wunsch der Eltern gentechnisch „einwandfrei“ in Bezug auf Hautfarbe, Größe, Denkvermögen und so weiter „zusammengebaut“. Es gibt jedoch auch noch die so genannten „Gotteskinder“, die auf ganz natürliche Weise geboren werden. Vincent (Ethan Hawke) ist einer von ihnen. Den „Gotteskindern“ fällt der soziale Aufstieg in dieser Gesellschaft jedoch besonders schwer. Vincent träumt davon bei „Gattaca“ arbeiten zu dürfen um in den Weltraum zu fliegen. Mit Hilfe von Jerome (Jude Law) beginnt er das schwierige Unterfangen sein Ziel zu erreichen.

„Gattaca“ besticht vor allem durch sein hoch brisantes Thema der Gentechnologie und mit der Frage des korrekten Umgangs damit. Es ist nicht auszuschließen, dass es in naher Zukunft tatsächlich so ablaufen könnte, wie es im Film gezeigt wird. Auch nach fast 15 Jahren hat der Film von seiner Aktualität und Brisanz nichts verloren.

Die Inszenierung von Regisseur Andrew Niccol („Lord of War“), aus dessen Feder auch das Drehbuch stammt, ist sehr gelungen. Für die in orangefarbenen, ruhigen Bilder zeichnet der polnische Kameramann Sławomir Idziak verantwortlich. Dieser war auch schon bei „Drei Farben: Blau“, „Black Hawk Down“, „King Arthur“ oder „Harry Potter und der Orden des Phönix“ an der Linse tätig. Durch die besondere Bildästhetik (Herr Idziak hat offensichtlich mit Farbfiltern gearbeitet) kreiert der Film seine ganz eigene dicht gestrickte Atmosphäre. Auch das Szenenbild ist exzellent gestaltet worden. Durch die kalt-grauen Gebäude und die oftmals weiträumigen und leeren Außensettings, sowie die ständige totale Ordnung in allen Innenräumen wirkt „Gattaca“ so realistisch. Der Film schafft es mit seiner ruhigen Erzählweise und durch seine hervorragenden Darsteller eine erschreckende Zukunftsvision zu visualisieren. Vor allem Jude Law überzeugt in seiner Rolle als Jerome von der ersten bis zur letzten Minute. Sein trockener Humor bringt den Zuschauer zum lächeln. Vielleicht ist es eine seiner besten Rollen bis jetzt. Neben Ethan Hawke ist noch Uma Thurman mit von der Partie, die sehr hübsch anzusehen ist.

„Gattaca“ ist kein typischer Science-Fiction-Film. Besonders seine geradlinige unspektakuläre Erzählweise grenzt ihn vom üblichen Genre ab. Die Monotonie des Lebensalltages in der Welt von „Gattaca“, wird durch die Arbeit in der Zentrale schön dargestellt. Die Mitarbeiter wirken alle strukturiert, gehorsam und gefühlskalt. Durch einige wenige Szenen wird dies dem Zuschauer deutlich gemacht. So stand bestimmt „Gattaca“ maßgeblich für Filme à la „Equilibrium“ Pate, was zumindest die Darstellung der zukünftigen gesellschaftlichen Verhältnisse anbelangt.

 

Der Filmsicht – Tipp: Gattaca ist als Deluxe Edition auf Blu-Ray erhältlich mit sehr guter Bild- und Tonqualität!

 

„Gattaca“; USA (1997); 101 min; D: Andrew Niccol; C: Ethan Hawke, Uma Thurman, Jude Law; M: Michael Nyman

 

6 von 7 Sternen

Alexander George

The Ides of March

Gouverneur und Präsidentschaftskandidat Mike Morris (George Clooney) befindet sich im Vorwahlkampf der Demokraten. Sein Wahlkampf-Manager ist der ausgebuffte und erfahrene Paul Zara (Philip Seymour Hoffman), und der Pressesprecher Stephen Meyers (Ryan Gosling). Letzterer ist jung, ambitioniert, engagiert und karrierebewusst. Mit dem aussichtsreichen Morris hofft er, auf dem Weg nach ganz oben zu sein, auf dem Weg ins Weiße Haus. Ist er zu Beginn noch gutgläubig und unerfahren, der es für einen Erfolg hält, wenn er die Praktikantin Molly (Evan Rachel Wood) flachlegt. Doch dann beginnt der Wahlkampf Fahrt aufzunehmen und die Luft wird dünner, der Kampf gegen die Konkurrenten aus der eigenen Partei härter. Plötzlich beginnt Stephen zu begreifen, in welchem schmutzigen Geschäft er sich befindet. Doch zu spät – er ist dem cleveren Tom Duffy (Paul Giamatti) schon auf den (dreckigen) Leim gegangen. Der Höhenflug endet für Stephen noch bevor er richtig abgehoben hat. Doch plötzlich erhält er Rückendeckung aus einer unerwarteten Richtung. Kann sich das Blatt für ihn noch einmal wenden?

Shootingstar Ryan Gosling wird von Film zu Film besser. Dem interessierten Cineasten fiel er im Streifen „Mord nach Plan“ (2002, org. Titel „Murder by Num8ers“) neben Sandra Bullock erstmals auf. Es folgten „State of Mind“ (2003, u. a. Mit Don Cheadle und Kevin Spacey), „Stay“ (2005, mit Ewan McGregor und Naomi Watts) und letztens „Blue Valentine“ (2010 mit Michelle Williams). Und – last not least – „Crazy, Stupid, Love“. In „Ides of March“ besticht er als Aufsteiger, der vom optimistischen Newcomer auf der politischen Bühne zum zynischen Erpresser wird. Eine ausgezeichnete Vorstellung des 31-jährigen Kanadiers. Man darf auf seinen nächsten Film „Drive“ gespannt sein.

(„Drive“ gewann bei den Filmfestspielen von Cannes die Goldene Palme für Beste Regie!)

Neben dem Sonnyboy Gosling konnte George Clooney Top-Schauspieler wie Paul Giamatti, Philip Seymour Hoffman und Marisa Tomei gewinnen. Er selbst spielt den ehrlichen, braven, guten Kandidaten. Außerdem schrieb er mit am Drehbuch und führte die Regie!

Der Film ist eine Adaption des Theaterstücks „Farragut North“ von Beau Willimon, das sehr erfolgreich auf amerikanischen Bühnen 2008 und 2009 aufgeführt wurde.

„The Ides of March“ ist der Beste Polit-Thriller der letzten Jahre. Auffallend die ruhige Kamera-Führung durch Phedon Papamichael, der schon die Filme „Identity“, „Das Streben nach Glück“, „Walk the Line“ and „Sideways“ fotografierte. Die Kamera verharrt auf den Gesichtern der Akteure, fängt ihre Regungen und ihre Mimik ein. Wir sehen die Personen, die abends in Nachrichten auftauchen und uns die Welt erklären wollen. Wunderbar!

Die Musik von Alexandre Desplat rundet das sehr gute Werk gelungen ab.

Unbedingt empfehlenswert!

 

5 ½ Sterne von 7
Rick Deckard

 

„The Ides of March“; USA (2011); 97 min; D: Ryan Gosling, George Clooney, Philip Seymour Hoffman, Paul Giamatti, Marisa Tomei, Evan Rachel Wood; M: Alexandre Desplat

Public Enemies

USA 1933: Der professionelle Bankräuber John Dillinger (Johnny Depp) ist dem Bureau Of Investigation (später wird daraus das FBI) schon länger ein Dorn im Auge. Schließlich erklärt der Leiter J. Edgar Hoover (Billy Crudup) Dillinger zum Staatsfeind Nr. 1. Nach einem weiteren Ausbruch setzt Hoover auf seinen Agenten Melvin Purvis (Christian Bale), der Dillinger und seine Gang endlich hinter Gitter bringen soll. Es wird ein harter Kampf für die Polizei, in der neue Methoden entwickelt werden um die Gangster endlich zu schnappen.

Michael Mann ein Regisseur mit keiner so großen Filmografie, wie man vielleicht denken könnte. Bekannt geworden ist er durch Filme wie „Der letzte Mohikaner“, „Heat“, „Insider“, „Ali“ oder „Miami Vice“. Besonders „Heat“ ist unbestritten eines seiner Meisterwerke! Mann erzählt in „Public Enemies“ die Geschichte des Gangster-Helden John Dillinger, die auf wahren Begebenheiten beruht. Dabei verwendet er, wie auch schon bei seinem Film „Collateral“, durchgehend die moderne HD-Technik. Die Entwicklung einer neuen Ästhetik des Looks ist dem Regisseur sehr gelungen. Diese ist notwendig geworden, da durch die allmähliche Ablösung vom Drehen auf echtem Filmmaterial auch der klassische „Film-Look“ (die Filmkörnung) verloren geht. Trotzdem gibt es einige Brüche im Film. Leider passen einige Bilder so rein gar nicht in das bildliche Konzept von Regisseur Mann und Kameramann Dante Spinotti („Heat“, „L.A. Confidential“, „Wonderboys“). Wackelige teils dokumentarisch-wirkende Bilder harmonieren nicht mit den sonst ruhigen und klaren Aufnahmen. So wird der Zuschauer immer wieder durch die bildliche Ebene aus der Geschichte herausgerissen bzw. aus der Zeit um 1933. Der Film wirkt plötzlich zu modern um in dieser Zeit spielen zu können und somit auch teilweise unglaubwürdig.

Sehr schön ist jedoch die wundervolle Lichtsetzung im Film gelungen sowie die aufwändige uns sehr realistische Ausstattung und Kostüm. Auch die Darsteller-Riege mit Johnny Depp, Christian Bale, Marion Cotillard und Stephen Graham kann sich sehen lassen. Sehr schade ist nur, dass in der deutschen Version die Synchronstimme von Bale eine andere ist als die gewohnte. Somit ist es nur sehr schwer sich daran zu gewöhnen.

Schade ist auch, dass der Film nie so richtig Fahrt aufnimmt. Es fehlt einfach ein Spannungsbogen und die nötige Tiefe in der Geschichte. Es ist eine Aneinanderreihung von Ereignissen mit keinem durchgehenden Erzählstrang, der einen fesselt. Schauspielerisch ist es zwar von allen Beteiligten hervorragend gespielt, aber auch dort findet kein tieferes Eindringen in die jeweiligen Charaktere statt.

Immer wieder gibt es in Michael Manns „Public Enemies“ grandios-inszenierte Szenen wie Verfolgungsjagden und der Gefängnisausbruch. Dort merkt man, dass der Regisseur sein Handwerk versteht. Jedoch bleibt der Film letztendlich blass und kalt. Vielleicht ist es auch der hohe Anspruch den man an Mann stellt, der hier diesmal einfach nicht erfüllt werden kann.

 

„Public Enemies“; USA (2009); 140 min; D: Michael Mann; C: Johnny Depp, Christian Bale, Marion Cotillard; M: Elliot Goldenthal

 

 

2 von 7 Sternen

Alexander George

Der Gott des Gemetzels

Eine Gruppe von Kindern beim Spiel im Park, dann kommt es zu einer Rangelei. Ein Junge schlägt einem anderen ein paar Zähne aus. So kommen die beiden Elternteile zusammen um den Vorfall aus der Welt zu schaffen. Penelope (Jodie Foster) und Michael (John C. Reilly) (die Eltern des „Opfers“) haben die Eltern Nancy (Kate Winslet) und Alan (Christoph Waltz) dazu in ihre Wohnung in New York eingeladen. Aus einem friedlichen Zusammenkommen entwickeln sich jedoch im Verlaufe des Nachmittages immer mehr Streitigkeiten und Auseinandersetzungen.

Roman Polanskis neustes Werk „Der Gott des Gemetzels“ basiert auf dem gleichnamigen Theaterstück von Yasmina Reza, die auch an der Drehbuch-Adaption beteiligt war. Das Theaterstück lief sehr erfolgreich auf deutschen, französischen und amerikanischen Bühnen. Das Kammerspiel, das sich quasi nur in der Wohnung abspielt, zeichnet sich besonders durch den extrem gut besetzen Cast aus. Alle vier Rollen wurden glänzend besetzt: da haben wir Jodie Foster, die wunderbar überheblich spielt und unbedingt als „Gutmensch“ dastehen möchte, John C. Reilly der es jedem Recht machen möchte; die wundervolle Kate Winslet, die die gelangweilte und genervte Ehefrau spielt und den sehr charmanten und witzigen Christoph Waltz, der wirklich andauernd am telefonieren ist. Das Zusammenspiel dieser sehr unterschiedlichen Charaktere macht Freude zuzuschauen. Vor allem die gegenseitigen Anschuldigen die gemacht werden, die anschließenden Versöhnungen sowie das Zusammenraufen zu immer wieder unterschiedlichen Macht-Konstellationen innerhalb der Gruppe machen diesen Film zu einem sehr kurzweiligem Vergnügen. Der Film bietet sehr viel guten schwarzen Humor. Dabei ist „Der Gott des Gemetzels“ eine gute Studie der verschiedenen Charaktere, die durch die vielen Gespräche der Eltern richtig entfaltet werden können. Wie schnell dabei das Hauptproblem bzw. der Grund des Zusammentreffens aus den Augen verloren wird ist das zentrale Thema des Films. Die Wandlungsfähigkeit innerhalb der jeweiligen Rollen ist dabei ein besonderes Vergnügen für den Zuschauer.

Polanski hat den Film sehr dicht und spannend sowie unterhaltend inszeniert. Musik gibt es nur zu Beginn und zum Schluss, was völlig ausreicht. Gedreht wurde in Paris. Bei den Filmfestspielen in Venedig gewann der Film 2011 den Kleinen Goldenen Löwen. Die 3 Komponenten: Drehbuch, Regie und Darsteller ergeben eine solide Rezeptur, die zwar nicht für große Überraschungen sorgt aber für einen sehr kurzweiligen Kinoabend.

 

„Der Gott des Gemetzels“ („Carnage“); Frankreich/Deutschland/Polen (2011); 80 min; D: Roman Polanski; C: Jodie Foster, Kate Winslet, Christoph Waltz, John C. Reilly; M: Alexandre Desplat

 

 

5 von 7 Sternen

Alexander George

Leon Battista Alberti, die alten Griechen und ein Zimmer in Rom

von Julian von Sallingen

 

Eine Nacht in Rom. Zwei junge Frauen, Alba und Natasha, entschließen sich diese Nacht zusammen zu verbringen. »Room in Rome«, aus dem Jahr 2010, ist ein Erotikfilm — ästhetisch photographiert, sinnlich, schön, und nie mehr als das. Elena Anaya (Alba) und Natasha Yarovenko (Natasha) überzeugen mit ihrem ausdrucksstarkem Schauspiel.

Zwischen dem Sex reden Alba und Natasha — und auch wenn das chauvinistisch klingt — genau das ist das Problem des Films. Das Drehbuch ist leider recht schwach — jedenfalls was die Dialoge betrifft. Die am Anfang gegenseitig erzählten Lügengeschichten sind sofort als solche zu erkennen, und sollen auch erkannt werden. Nach den nächsten Runden im Liebesspiel beginnen beide den wahren Kern ihres Wesen sich zu zeigen. Ihre Gespräche werden ernster und wahrer. Jedoch, dem Film hilft es nicht. Zwar haben beide Frauen jenseits ihrer Lügengeschichten ein dramatisches Leben. Dies aber wirkt — in dieser Szenerie, in dieser Nacht und vor dem Hintergrund der omnipräsenten Erotik — eher bemüht und teils auch unglaubwürdig.

Alba und Natasha sind die meiste Zeit des Films nackt zu sehen. Das kann nicht fehlen in einem Film dieser Art? Doch, denn auf die Dauer bekommt man beim Zusehen eine gewisse Routine und kann den Wunsch nicht unterdrücken, dass der Film auch früher hätte zu Ende sein können. Und es liegt die Vermutung nahe, dass dies nicht von Regisseur Julio Medem beabsichtigt ist, dass man sich an die Nacktheit gewöhnt. Es ist ganz klar, dass es in diesem Film um Erotik, um Sex geht und alles andere eine philosophische Tiefe erzeugen soll. Aber 104 Minuten Nacktheit und Sex plus obskuren Gesprächen birgen eine gewisse Redundanz in sich. Eine Langweile ist noch knapp zu unterdrücken, jedoch segelt der Film stellenweise hart am Rand dazu.

Sehr aufgesetzt wirken die dialogischen Einwürfe zu Leon Battista Alberti, der in einem Gemälde im Hotelzimmer zu sehen ist. Ihm gegenüber hängt ein Bild das eine Szene aus der Zeit der alten Griechen darstellt. Natasha erklärt Alba, dass diese Bilder miteinander kommunizieren. Wir erfahren, dass Leon Battista Alberti Natashas Lieblingshumanist ist und sie zitiert ihn: »Man kann den Bogen nicht spannen, wenn man kein Ziel hat ihn darauf zu richten«.
Den Bogen spannen tut Amor und bald wird er ihn auch abfeuern. Amor trifft, er trifft Alba. Daraus entsteht die, für mich, wirklich einzig peinliche, auch sehr unnötige, Szene des Films. Alba steckt, nicht nur metaphorisch, der Pfeil im Herz.
Als Natasha Leon Battista Alberti zitiert, fragt Alba, was das Zitat bedeutet. Natasha antwortet: »Die Idee dahinter ist, dass der Künstler immer ganz genau wissen muss, worauf er hinaus will.« Und ich hätte mir gewünscht, dass Julio Medem dies gewusst hätte.

Dem allem zum Trotz: »Room in Rome« — basierend auf dem chilenischen Film »En la cama« (engl.: »In Bed«) von Matías Bize aus dem Jahr 2005 — ist ein sehr schön anzusehender Film, mit intensiven und leidenschaftlichen Bildern, mit überzeugenden und sehr schönen Darstellerinnen und mit guter Musik. (Immer wieder erklingt der Song »Loving Strangers« von Russian Red.) Allein, es mangelt dem Film an Tiefe, die er zwar haben möchte, die ihm aber verweht bleibt.

 

Bewertung: 5 von 7 Sternen

 

»Room in Rome — Eine Nacht in Rom« (Original Title: »Habitación en Roma«, International Title: »Room in Rome«); Spanien (2010); 104 Min.; D: Julio Medem; C: Elena Anaya, Natasha Yarovenko, Enrico Lo Verso, Najwa Nimri

 

Die DVD ist im Handel erhältlich.

The Social Network

Mark Zuckerberg (Jesse Eisenberg) ist Student an der Harvard-Universität; er ist ein Computer-Freak, speziell was das Internet angeht, er bloggt regelmäßig und hackt sich in die Uni-Software ein. Man könnte sagen er ist geradezu besessen von den Möglichkeiten des Internets. In 2004 (er ist jetzt 19 Jahre alt) hat Mark eine Idee (oder hatten andere etwa diesen „Einfall“??!): er startet das Programm „The Facebook“, deren Nutzer zu Beginn ausschließlich seine Kommilitonen an der Harvard sind. Später kommen dann weitere US-Hochschulen dazu, bis das Network weltweit ausgebaut wird. Leider reklamieren ehemalige Partner von Zuckerberg, er hätte ihre Idee gestohlen (sie werden alle später in einem Gerichtsvergleich „großzügig“ abgefunden). Auch sein Freund und Mitbegründer Eduardo Saverin (Andrew Garfield) verklagt ihn auf Schadensersatz, da man ihn auf trickreiche Weise und mit Hilfe von Sean Parker, dem Napster-Erfinder (Justin Timberlake in einer kurzen aber prägnanten Rolle), aus Facebook hinaus manövriert hat.

Dies alles erzählt der Film, eine Art Doku-Drama, in schneller Bilder-Abfolge, fast so zügig wie Zuckerberg redet oder denkt oder auf die Tastatur seines (Apple-)Notebooks haut. „History in the Making“ sagt der Engländer treffend: wir sind (scheinbar live) dabei wie Geschichte geschrieben wird, eine revolutionäre Idee ist geboren. Gegenwart und Rückblenden wechseln sich in rastloser Schnittfolge ab. Atmosphärisch dicht, gute Kamera und stimmige Musik: der Regisseur David Fincher hat einen exzellenten Film komponiert. Die Charaktere wirken glaubwürdig, insbesondere Eisenberg spielt Zuckerberg zwischen Genie und Naivität sehr beeindruckend.

Das Script glänzt durch geschliffene, wohl durchdachte Dialoge; jeder Satz scheint wichtig zu sein für die Geschichte, nichts Unnützes wird gesagt.

Am Ende der Vergleichsverhandlung sagt die Assistentin seines Rechtsanwalts zu Zuckerberg: „Mark, Sie sind kein Arschloch. Aber Sie versuchen dauernd eines zu sein. Gute Nacht.“ Die korrekte Charakterisierung des Facebook-Gründers.

Die Kamera führte kein Geringerer als Jeff Cronenweth, der schon bei „Fight Club“ für die Bilder verantwortlich war. Auch bei den Filmen „Sieben“ (additional photography) und „The Game“ (second unit) war er im Team.

Den hervorragenden Schnitt verantworteten Kirk Baxter (u. a. „Zodiac“ und „Benjamin Button“) und Angus Wall (u. a. die vorgenannten Filme und „Panic Room“).

Bemerkenswert die Tatsache, dass Kevin Spacey als Executive Producer diesen Film begleitete.

Am Ende des Films kommen die üblichen „Thanks to …“, auch an Steven Soderbergh, wofür auch immer.

Heute verzeichnet Facebook 800 Millionen Nutzer, von denen 50% täglich die Seite aufmachen! Mark Zuckerberg ist der jüngste Milliardär der Welt.

Fazit: unbedingt ansehen und genießen. Die Story ist atemberaubend. Am Ende des Films möchte man eigentlich, es möge noch weitergehen, so kurzweilig und interessant wurde diese Erfolgsstory umgesetzt.

 

 

„The Social Network“; USA (2010); 120 min: D: David Fincher; C: Jesse Eisenberg, Andrew Garfield, Rooney Mara, Bryan Barter; M: Trent Reznor und Atticus Ross

 

6 von 7 Sternen – Rick Deckard

Margin Call

Wir schreiben das Jahr 2008; es ist der Nachmittag vor dem Beginn des Börsen-Crash und der letzten Weltwirtschaftskrise. Viele tausende Menschen auf der Welt werden ihren Job verlieren, und viele hunderttausende ihr Geld. An diesem Tag werden bei einer großen New Yorker Investmentbank (wohl Lehman Brothers, aber das darf der Film nicht sagen) einige Mitarbeiter entlassen. „Es war ein Blutbad“, meint Will Emerson, der stellvertretende Leiter der Handelsabteilung (nicht unsympathisch gespielt von Paul Bettany). Unglücklicherweise ist auch der Leiter Abteilung „Risk Management“ unter den gefeuerten; der arbeitet gerade an einem Projekt, das er „für sehr wichtig“ erachtet. Am Ende des Kündigungsgesprächs fragt er, ob er dies noch fertig stellen könne. Nein, lautet die klare Antwort, er solle seine persönlichen Dinge einpacken und würde dann, begleitet von der Security, sofort das Haus verlassen. „Dass wir Ihr eMail-Account und Ihr Handy sperren, hat nichts mit Ihnen persönlich zu tun.“ Kurz bevor sich die Aufzugtüren mit einem entsetzten Eric Dale (hervorragend: Stanley Tucci) schließen, schafft er es dem Jung-Angestellten Peter Sullivan (Zachary Quinto; der diesen Film produzierte) einen USB-Stick mit den Worten „Aber sei vorsichtig damit!“ zuzustecken. Als Peter Sullivan die Zahlen auf der Datei analysiert, glaubt er seinen Augen nicht. Er bittet erst Will Emerson, und anschließend dessen Boss Sam Rogers (Kevin Spacey) sich die Unterlagen anzusehen. Sie alle kommen zu dem einzigen logischen Schluss: die Investmentbank ist seit zwei Wochen insolvent, aber niemand hat es bemerkt. Sam Rogers, der seit über 30 Jahren für das Unternehmen tätig ist, tut das was er tun muss – er informiert den Vorstand. Um kurz nach 2 Uhr nachts landet der Vorstandsvorsitzende John Tuld (Jeremy Irons) mit dem Helikopter auf dem Dach des Firmengebäudes. Und eines ist jetzt klar: die weltweite Finanzwelt wird in weniger als 12 Stunden eine andere sein. Denn die Verluste bei der Bank, dessen Name im gesamten Film nie erwähnt wird, belaufen sich auf rund 300 Milliarden US-Dollar. Um die Ausfälle zu begrenzen, wird Sam Rogers mit seinem Team beauftragt, morgen Vormittag alle „faulen Papiere“ schnellstens abzustoßen. John Tuld ist bewusst, dass er die Börsen damit in einen Tumult und in eine gigantische Talfahrt stürzen wird – aber es ist ihm egal. Er belehrt den jungen Sullivan, warum er der Vorsitzende dieser Firma wäre. Nicht, weil er alles besser könne, sondern weil er wisse, was morgen, nächste Woche und nächsten Monat an der Börse passieren wird. Und weiter: „Es gibt nur drei Wege zum Erfolg und zum großen Geld: 1. Sei der Erste. 2. Sei klüger als die Anderen. 3. Betrüge!“

Und so machen sich, nach einer Nacht mit Konferenzen und Besprechungen, Sam Rogers, Will Emerson („Ich habe kein Nicotin-Kaugummi mehr; das bedeutet ich werde in den nächste 10 Minuten jemanden umbringen.“) und ihr Team an die Arbeit. Sam (brilliant von Kevin Spacey gespielt) kennt die Konsequenzen seines Handelns. Aber ist loyal zu seinem Unternehmen und führt die ihm gegebenen Anweisungen aus.

Gleichzeitig befielt John Tuld die Suche nach dem „Entdecker“ ihrer Pleite. Der ist aber anscheinend gestern Abend gar nicht nach Hause gekommen; so seine Frau am Telefon!

Der Film von J.C. Chandor ist nicht perfekt. Aber er vermittelt dem Zuschauer einen Eindruck davon, was in der fraglichen Nacht bei Lehman Brothers passiert sein könnte. Und das tut er mit hervorragenden Dialogen (Ein Lob für das gute Drehbuch, das der Regisseur selbst verfasste ) Wir stellen fest, dass die Protagonisten letztlich alle nur von der Gier nach Geld gesteuert werden. Und das bis zum bitteren Ende! Da sagt dann John Tuld : „Es ist doch nur Geld …“.

Wichtig für jeden Mitarbeiter, der überlebt ist allein, wie viel Geld verdient der andere? Und wie viel mein Vorgesetzter? Und wie komme ich dahin? Zu Beginn fragt Peter Sullivan Will Emerson was er in 2007 von der Firma erhielt. Antwort: „2,5 Millionen $; davon gehen 50% an die Steuer.“ Was er damit gemacht habe. Will zählt auf: Haus, Auto, Versicherung, Restaurant, und so weiter. 50.000 $ für Kleidung.“ Peter und sein Kollege Seth Bregman haben mitgerechnet: „Sir, es fehlen noch 78.000 $.“ Will antwortet, fast geistesabwesend: „78.000 $ habe ich für Nutten ausgegeben.“ Seth pfeift leise durch die Zähne und fragt dann „Sir, 78.000 $ für Nutten? Sir, wie haben Sie das in einem Jahr gemacht??!“

106 spannende Minuten. Ein Kammerspiel, das fast ausnahmslos in den Büros der Bank abläuft. Gebannt lauscht man den Dialogen, und glaubt fast nicht, was man dort hört. Vielleicht hat der eine oder andere Zuschauer geahnt, dass es so bei den Banken zugeht. Aber man will es eigentlich nicht wahr haben.

Lehmann Bros. hatte vor der Krise 28.000 Angestellte. Danach waren noch 315 Mitarbeiter dort. Einmal sagt ein Bank-Manager, als er über seine Kunden spricht: „The real people outside.“ Und man möchte fragen: und ihr da drinnen, was seid ihr?

Wer erfahren möchte wie spannend Wirtschaft sein kann, liegt hier genau richtig. Und auch derjenige, der eine hochklassige Schauspieler-Riege bewundern möchte, von denen jeder glaubwürdig wirkt; ihnen zuzuschauen macht wirklich Freude! Kevin Spacey sei hervorgehoben – gewohnt souverän meistert er seine Rolle. Und er ist vielleicht, neben Zachary Quinto, der einzige, dessen Film-Charakter gewisse menschliche Züge aufweist.

 

 

Der große Crash“ („Margin Call“); USA (2011); 107 Min.; D: J.C. Chandor; C: Kevin Spacey, Paul Bettany, Jeremy Irons, Zachary Quinto, Demi Moore, Stanley Tucci; M: Nathan Larson.

 

5 von 7 Sternen

Rick Deckard

 

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