Margin Call

Wir schreiben das Jahr 2008; es ist der Nachmittag vor dem Beginn des Börsen-Crash und der letzten Weltwirtschaftskrise. Viele tausende Menschen auf der Welt werden ihren Job verlieren, und viele hunderttausende ihr Geld. An diesem Tag werden bei einer großen New Yorker Investmentbank (wohl Lehman Brothers, aber das darf der Film nicht sagen) einige Mitarbeiter entlassen. „Es war ein Blutbad“, meint Will Emerson, der stellvertretende Leiter der Handelsabteilung (nicht unsympathisch gespielt von Paul Bettany). Unglücklicherweise ist auch der Leiter Abteilung „Risk Management“ unter den gefeuerten; der arbeitet gerade an einem Projekt, das er „für sehr wichtig“ erachtet. Am Ende des Kündigungsgesprächs fragt er, ob er dies noch fertig stellen könne. Nein, lautet die klare Antwort, er solle seine persönlichen Dinge einpacken und würde dann, begleitet von der Security, sofort das Haus verlassen. „Dass wir Ihr eMail-Account und Ihr Handy sperren, hat nichts mit Ihnen persönlich zu tun.“ Kurz bevor sich die Aufzugtüren mit einem entsetzten Eric Dale (hervorragend: Stanley Tucci) schließen, schafft er es dem Jung-Angestellten Peter Sullivan (Zachary Quinto; der diesen Film produzierte) einen USB-Stick mit den Worten „Aber sei vorsichtig damit!“ zuzustecken. Als Peter Sullivan die Zahlen auf der Datei analysiert, glaubt er seinen Augen nicht. Er bittet erst Will Emerson, und anschließend dessen Boss Sam Rogers (Kevin Spacey) sich die Unterlagen anzusehen. Sie alle kommen zu dem einzigen logischen Schluss: die Investmentbank ist seit zwei Wochen insolvent, aber niemand hat es bemerkt. Sam Rogers, der seit über 30 Jahren für das Unternehmen tätig ist, tut das was er tun muss – er informiert den Vorstand. Um kurz nach 2 Uhr nachts landet der Vorstandsvorsitzende John Tuld (Jeremy Irons) mit dem Helikopter auf dem Dach des Firmengebäudes. Und eines ist jetzt klar: die weltweite Finanzwelt wird in weniger als 12 Stunden eine andere sein. Denn die Verluste bei der Bank, dessen Name im gesamten Film nie erwähnt wird, belaufen sich auf rund 300 Milliarden US-Dollar. Um die Ausfälle zu begrenzen, wird Sam Rogers mit seinem Team beauftragt, morgen Vormittag alle „faulen Papiere“ schnellstens abzustoßen. John Tuld ist bewusst, dass er die Börsen damit in einen Tumult und in eine gigantische Talfahrt stürzen wird – aber es ist ihm egal. Er belehrt den jungen Sullivan, warum er der Vorsitzende dieser Firma wäre. Nicht, weil er alles besser könne, sondern weil er wisse, was morgen, nächste Woche und nächsten Monat an der Börse passieren wird. Und weiter: „Es gibt nur drei Wege zum Erfolg und zum großen Geld: 1. Sei der Erste. 2. Sei klüger als die Anderen. 3. Betrüge!“

Und so machen sich, nach einer Nacht mit Konferenzen und Besprechungen, Sam Rogers, Will Emerson („Ich habe kein Nicotin-Kaugummi mehr; das bedeutet ich werde in den nächste 10 Minuten jemanden umbringen.“) und ihr Team an die Arbeit. Sam (brilliant von Kevin Spacey gespielt) kennt die Konsequenzen seines Handelns. Aber ist loyal zu seinem Unternehmen und führt die ihm gegebenen Anweisungen aus.

Gleichzeitig befielt John Tuld die Suche nach dem „Entdecker“ ihrer Pleite. Der ist aber anscheinend gestern Abend gar nicht nach Hause gekommen; so seine Frau am Telefon!

Der Film von J.C. Chandor ist nicht perfekt. Aber er vermittelt dem Zuschauer einen Eindruck davon, was in der fraglichen Nacht bei Lehman Brothers passiert sein könnte. Und das tut er mit hervorragenden Dialogen (Ein Lob für das gute Drehbuch, das der Regisseur selbst verfasste ) Wir stellen fest, dass die Protagonisten letztlich alle nur von der Gier nach Geld gesteuert werden. Und das bis zum bitteren Ende! Da sagt dann John Tuld : „Es ist doch nur Geld …“.

Wichtig für jeden Mitarbeiter, der überlebt ist allein, wie viel Geld verdient der andere? Und wie viel mein Vorgesetzter? Und wie komme ich dahin? Zu Beginn fragt Peter Sullivan Will Emerson was er in 2007 von der Firma erhielt. Antwort: „2,5 Millionen $; davon gehen 50% an die Steuer.“ Was er damit gemacht habe. Will zählt auf: Haus, Auto, Versicherung, Restaurant, und so weiter. 50.000 $ für Kleidung.“ Peter und sein Kollege Seth Bregman haben mitgerechnet: „Sir, es fehlen noch 78.000 $.“ Will antwortet, fast geistesabwesend: „78.000 $ habe ich für Nutten ausgegeben.“ Seth pfeift leise durch die Zähne und fragt dann „Sir, 78.000 $ für Nutten? Sir, wie haben Sie das in einem Jahr gemacht??!“

106 spannende Minuten. Ein Kammerspiel, das fast ausnahmslos in den Büros der Bank abläuft. Gebannt lauscht man den Dialogen, und glaubt fast nicht, was man dort hört. Vielleicht hat der eine oder andere Zuschauer geahnt, dass es so bei den Banken zugeht. Aber man will es eigentlich nicht wahr haben.

Lehmann Bros. hatte vor der Krise 28.000 Angestellte. Danach waren noch 315 Mitarbeiter dort. Einmal sagt ein Bank-Manager, als er über seine Kunden spricht: „The real people outside.“ Und man möchte fragen: und ihr da drinnen, was seid ihr?

Wer erfahren möchte wie spannend Wirtschaft sein kann, liegt hier genau richtig. Und auch derjenige, der eine hochklassige Schauspieler-Riege bewundern möchte, von denen jeder glaubwürdig wirkt; ihnen zuzuschauen macht wirklich Freude! Kevin Spacey sei hervorgehoben – gewohnt souverän meistert er seine Rolle. Und er ist vielleicht, neben Zachary Quinto, der einzige, dessen Film-Charakter gewisse menschliche Züge aufweist.

 

 

Der große Crash“ („Margin Call“); USA (2011); 107 Min.; D: J.C. Chandor; C: Kevin Spacey, Paul Bettany, Jeremy Irons, Zachary Quinto, Demi Moore, Stanley Tucci; M: Nathan Larson.

 

5 von 7 Sternen

Rick Deckard

 

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